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Donnerstag, 1. November 2012

Von CARL MOSES, BUENOS AIRES // Endspiel um Argentiniens Schulden


GerichtsurteilEndspiel um Argentiniens Schulden

01.11.2012 ·  Ein Gericht in New York verlangt von Argentinien die Gleichbehandlung seiner Gläubiger. Auch Verweigerer der Umschuldung sollen Zins und Tilgung kassieren. Das Urteil könnte neue Maßstäbe für Schuldenrestrukturierungen setzen.
Von CARL MOSES, BUENOS AIRES
© AFPErfolg für Argentinien-Gläubiger: Die Libertad, Stolz der argentinischen Marine, sitzt im Hafen von Tema fest
Die Festsetzung eines argentinischen Marineschiffs in Ghana hat Anfang Oktober weltweit Aufsehen erregt. Die von einem amerikanischen Hedgefonds erwirkte Beschlagnahmung des Segelschulschiffs „Libertad“ war der bisher spektakulärste Schlag von Gläubigern Argentiniens, die seit mehr als zehn Jahren vor Gerichten in aller Welt um die Durchsetzung ihrer Forderungen aus dem Staatsbankrott von Dezember 2001 kämpfen. Der Stolz der argentinischen Marine dümpelt weiter im ghanaischen Hafen Tema. Fast 300 Mann Besatzung wurden inzwischen per Flugzeug nach Hause geholt. „Solange ich Präsidentin bin, können sie die Fregatte behalten, aber die Freiheit, Souveränität und Würde dieses Landes wird uns weder ein Geierfonds noch sonst jemand nehmen“, sagte Argentiniens Staatschefin Cristina Kirchner trotzig.
Wesentlich größere Tragweite als die Beschlagnahmung des imposanten Dreimasters hat allerdings ein Gerichtsurteil, das eine Gruppe von Argentinien-Gläubigern Ende letzter Woche in New York erstritt. Ein Berufungsgericht bestätigte dort eine Entscheidung des Distriktrichters Thomas Griesa. Sie hat Argentinien untersagt, künftig Zins- und Tilgungszahlungen an jene Gläubiger zu leisten, die Argentiniens Umschuldungsangebote von 2005 bis 2010 akzeptiert hatten, ohne gleichzeitig auch diejenigen Gläubiger zu bedienen, die den Verzicht auf mehr als zwei Drittel ihrer Forderungen abgelehnt hatten. Denn Argentinien habe in den Ausgabebedingungen der alten Anleihen die Gleichbehandlung der Gläubiger zugesichert (Pari-passu-Regel).

Gefährdung des Urteils durch politische Reaktionen

Die für viele Beobachter überraschend weite Auslegung der Gleichbehandlungsregel durch das Gericht hat am Markt für argentinische Staatsanleihen schwere Turbulenzen ausgelöst. Einige der aus der Umschuldung hervorgegangenen Papiere verloren mehr als zehn Prozent ihres Kurswertes. Die Prämien für Kreditausfallversicherungen (CDS) schossen in die Höhe und werden weltweit nur noch von Griechenland übertroffen. Anleger befürchten, dass die Bedienung der umgeschuldeten Anleihen durch das Gerichtsurteil oder durch politische Reaktionen der argentinischen Regierung gefährdet werden könnte. „Dieses harsche Urteil erhöht die Risiken eines widrigen Endspiels um die derzeit ordnungsgemäß bedienten Schulden“, kommentierten Analysten der Bank J.P. Morgan.
Die Umschuldung von Anleihen im Nominalwert von rund 80 Milliarden Dollar war nach drei Angebotsrunden (2005 bis 2010) von insgesamt 93 Prozent der Gläubiger akzeptiert worden. 6,6 Milliarden Dollar Schulden in Händen der Umschuldungsverweigerer (Holdouts) stehen jedoch weiterhin offen. Mit ausstehenden Zinsen sind die Rückstände fast doppelt so hoch. Schätzungen zufolge wird über mindestens die Hälfte dieser Forderungen vor Gericht gestritten. Bei dem Urteil in New York geht es um Forderungen von insgesamt 1,33 Milliarden Dollar.

Umschuldungsanleihen sollen weiter bezahlt werden

Zu den Klägern gehört der Fonds NML Capital des amerikanischen Milliardärs Paul Singer, der auch die Beschlagnahmung des Schulschiffs in Ghana erreicht hatte. Die von Singer geführte Investorengruppe, zu der auch die Gattin des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney gehören soll, hatte die argentinischen Papiere nach dem Staatsbankrott zu einem Bruchteil des Nennwertes erworben und später dann die volle Zahlung eingeklagt.
Angesichts seiner Devisenreserven von 45 Milliarden Dollar könne Argentinien die 1,33 Milliarden zahlen, ohne seine allgemeine Zahlungsfähigkeit zu beeinträchtigen, meinen die Ökonomen von J.P. Morgan. Doch politisch sei eine solche Lösung für die Kirchner-Regierung „schwer zu schlucken“. Argentiniens Regierung lehnt jede Zahlung an die Holdouts ab. Die Umschuldungsanleihen sollen aber weiterhin pünktlich bedient werden. Im Dezember sind die nächsten Zahlungen von rund 4 Milliarden Dollar fällig. „Wir respektieren die 93 Prozent, die eine Anstrengung gemacht haben, die ein paar Schlaumeier jetzt ausnutzen wollen“, sagte Wirtschaftsminister Hernán Lorenzino. „Niemals werden wir an die Geierfonds zahlen.“ Der Rechtsstreit sei noch nicht zu Ende.
Auch die Berufungsrichter haben noch offene Fragen. Sie forderten den Richter der ersten Instanz auf, genauer auszuarbeiten, nach welcher Formel die Altgläubiger künftig bedient werden sollen und welche Auflagen die mit der Abwicklung beauftragten Banken dabei zu erfüllen haben. Nach dieser Präzisierung der gerichtlichen Verfügung wird das Berufungsgericht abermals befinden. Bleibt es bei dem Zahlungsbefehl, kann Argentinien noch versuchen, den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten anzurufen.

Urteil könnte zum Maßstab werden

Nicht nur für Argentinien ist die Entscheidung der New Yorker Richter von großer Bedeutung. Auch für künftige Umschuldungsmaßnahmen in aller Welt könnten möglicherweise neue Maßstäbe gesetzt werden. „Kein Umschuldungsangebot erhält 100 Prozent Zustimmung“, kommentierte der ehemalige argentinische Finanzstaatssekretär Guillermo Nielsen, der Argentiniens Umschuldung maßgeblich vorbereitet hatte. Das Gerichtsurteil könne künftige Schuldenrestrukturierungen schwieriger oder sogar ganz unmöglich machen, sagte Nielsen.
„Warum soll ein Anleger einem Schuldentausch mit Forderungsverzicht zustimmen, wenn jemand, der nicht zustimmt, dasselbe erhält?“, fragt der Finanzrechtler Eugenio Bruno. Mögliche künftige Umschuldungsmaßnahmen von Staaten etwa in Südeuropa oder auch von Unternehmen würden dann keinen Sinn mehr ergeben. Mit ähnlicher Argumentation hatte sich auch die amerikanische Regierung in einer Einlassung zu dem Prozess (amicus brief) auf die Seite Argentiniens gestellt.

Zahlungsrückstand

Nach mehr als zehn Jahren Zahlungsrückstand scheinen die amerikanischen Richter indes die Geduld mit Argentinien zu verlieren. Das Argument der argentinischen Regierung, die Bedienung der Gläubigeransprüche könne das Land in eine neue Krise stürzen, sei nicht haltbar, befanden die Richter. Argentiniens Wirtschaft ist in den letzten zehn Jahren mit Raten von durchschnittlich mehr als 7 Prozent gewachsen. Schon 2006 hatte Argentinien auf einen Schlag 10 Milliarden Dollar Schulden gegenüber dem Internationalen Währungsfonds vorzeitig zurückgezahlt. Bei Deutschland und anderen Ländern des Pariser Clubs ist Argentinien dagegen seit zehn Jahren mit inzwischen rund 9 Milliarden Dollar säumig. Auch Zahlungsurteile eines Weltbank-Schiedsgerichts zur Entschädigung von Unternehmen für Vertragsbrüche Argentiniens hat die Regierung bisher ignoriert.
Bleibt es bei dem Urteil in New York, könnte Argentinien versuchen, andere Wege für seine Zahlungen an die bislang pünktlich bedienten Gläubiger zu finden, etwa über einen Offshore-Treuhänder. Während derzeit alle ausländischen Schuldenzahlungen Argentiniens über die Bank of New York abgewickelt werden, könnte es für Euroanleihen rechtlich einfacher sein, alternative Zahlungswege zu finden, meint Gustavo Cañonero von der Deutschen Bank. Die Kurse von Euroanleihen verloren am Sekundärmarkt nicht ganz so stark wie die von Dollarpapieren.

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