StaatsanleihenArgentinien droht neuer Zahlungsausfall
26.11.2012 · Die argentinische Regierung kann und will ihre Schulden zahlen - aber nicht alles, was ein amerikanisches Gericht vorschreibt. Das könnte mit Nicht-Zahlung enden.
Von CARL MOSES, BUENOS AIRES
Knapp elf Jahre nach der Staatspleite von 2001 steht Argentinien möglicherweise abermals vor einem Zahlungsausfall. Die Prämien für Kreditausfallversicherungen (CDS) auf argentinische Staatsanleihen vervierfachten sich in den letzten Tagen auf ein Rekordniveau, das weltweit nur noch von Griechenland übertroffen wird.
Dabei kann und will Argentiniens Regierung vermeintlich zahlen. Mit einer sehr unpopulären Maßnahme hat Argentiniens Staatspräsidentin Cristina Kirchner sogar den Zugriff der Bürger auf knappe Devisen beschränkt, um sicherzustellen, dass die Zentralbank über ausreichend Fremdwährung zur Bedienung der Schulden verfügt.
In der Zwickmühle
Das Problem: Ein amerikanisches Gericht verlangt von Argentinien die Begleichung von Altschulden, deren Gläubiger nach Ansicht der argentinischen Regierung ihr Recht auf Bezahlung verwirkt haben, weil sie frühere Umschuldungsangebote nicht akzeptiert hatten.
Zusätzlich verbietet das Gericht Argentinien und den im Zahlungsprozess involvierten Banken, jedwede Schuldenzahlung zu leisten, solange Argentinien nicht gleichzeitig auch die umstrittenen Altschulden bedient. Argentiniens Regierung steckt in einer Zwickmühle. Folgt sie dem Gerichtsurteil oder ihren Prinzipien? Die Gläubiger müssen zittern.
Damit geht die Geschichte der bisher größten Staatspleite in eine neue Etappe. Argentinien hatte nach seinem Staatsbankrott von 2001 in drei Umschuldungsrunden 2005 und 2010 insgesamt 93 Prozent der Gläubiger von rund 100 Milliarden Dollar dazu bewegen können, auf mehr als zwei Drittel ihrer Ansprüche zu verzichten. Alle bei diesen Umschuldungsrunden ausgegebenen neuen Staatspapiere hat Argentinien seither pünktlich bedient.
Ein Hedgefonds-Manager setzt das Land unter Druck
Die Wirtschaft des Landes erholte sich rasant. Viele der Gläubiger, die Argentiniens harsche Umschuldungsbedingungen seinerzeit nicht akzeptiert hatten, haben das Land unterdessen vor Gerichten in aller Welt auf die volle Zahlung ihrer Ansprüche verklagt und in vielen Fällen entsprechende Zahlungsurteile erstritten.
Bisher waren diese „Holdouts“ indes kaum in der Lage, irgendwo auf der Welt eine Vollstreckung ihrer Forderungen zu erreichen. Mehr als zwei Dutzend Versuche zur Pfändung von argentinischem Staatseigentum wie dem Präsidentenflugzeug, Botschafterresidenzen oder Zentralbankreserven schlugen fehl.
Doch der Hedgefonds NML Capital aus dem Imperium des amerikanischen Milliardärs Paul Singer, der notleidene Argentinien-Anleihen zu Ramschpreisen aufgekauft hatte, scheint nun einen Weg gefunden zu haben, um Forderungen von rund 1,33 Milliarden Dollar gegen Argentinien durchzusetzen. Dass es Singer gelang, in einer spektakulären Aktion Anfang Oktober das Segelschulschiff der argentinischen Marine in Ghana festsetzen zu lassen, sorgte zwar für weltweites Aufsehen, ist jedoch eher von symbolischem Wert.
Gleichbehandlung angeblich nicht gewährleistet
Wichtiger ist der Erfolg einer Klage von NML in den Vereinigten Staaten. Praktisch alle Schuldenzahlungen Argentiniens an ausländische Gläubiger werden über den Finanzplatz New York abgewickelt. Vor einem Gericht in New York klagte NML, Argentinien verstoße mit seiner Schuldenpolitik, die umgeschuldete Anleihen pünktlich bedient, Altschulden jedoch ignoriert, gegen die in den Anleihebedingungen zugesicherte Gleichbehandlung der Gläubiger.
Der Distriktrichter Thomas Griesa gab NML im Februar 2012 recht. Ein Berufungsgericht bestätigte im Oktober die Ansprüche von NML und einigen Nebenklägern. Zu klären blieb lediglich die konkrete Höhe und Modalität der von Argentinien zu leistenden Zahlungen.
„Kein Dollar an Geierfonds“
Argentiniens Staatschefin Kirchner erklärte umgehend, ihr Land werde „nicht einen einzigen Dollar an Geierfonds zahlen“. In der Nacht zum Thanksgiving-Fest am vergangenen Donnerstag reagierte Richter Griesa mit einer für viele Beobachter überraschend harten Verfügung. Danach muss Argentinien NML den vollen Nominalwert der Anleihen und alle aufgelaufenen Zinsen ohne weiteren Verzug zahlen.
Vorbehaltlich einer neuen Revision des Berufungsgerichts soll Argentinien die 1,33 Milliarden Dollar auf einem Treuhandkonto deponieren. Andernfalls dürfe eine am 15. Dezember fällige Zahlung von 3,5 Milliarden Dollar auf Umschuldungspapiere nicht gezahlt werden. Auch die mit der Abwicklung betraute Bank of New York sowie andere beteiligte Intermediäre sind von dem Verbot betroffen.
„Juristischer Kolonialismus“
Richter Griesa begründete sein harsches Urteil mit den wiederholten Äußerungen von Staatschefin Kirchner und anderen Regierungsmitgliedern, wonach Argentinien kein Urteil zur Zahlung an Umschuldungsverweigerer befolgen werde. Griesa hat Argentinien immer wieder Aufschub gewährt und Pfändungsklagen abgewiesen. Nun scheint der 82-Jährige die Geduld zu verlieren.
“Nach zehn Jahren Rechtsstreit ist das ein gerechtes Ergebnis“, begründete Griesa sein Urteil. „Argentinien ist das schuldig, und es schuldet das jetzt.“ Aufgrund der erklärten Verweigerungshaltung der Regierung müsse das Gericht sicherstellen, dass Argentinien keine neuen Wege finde, sich seinen Verpflichtungen zu entziehen.
Griesas Verfügung sei „juristischer Kolonialismus“, empörte sich Argentiniens Wirtschaftsminister Hernán Lorenzino. „Es fehlt nur noch dass sie die 5. Flotte in Gang setzen.“ Argentinien will nun versuchen, vor dem Berufungsgericht eine Revision des Zahlungsbefehls zu erwirken. Eines hat das Gericht hat in seinem Oktober-Urteil freilich erkennen lassen. Es dürfte kaum akzeptieren, dass Argentinien den Holdouts gar nichts zahlt.
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