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Freitag, 9. November 2012

Ein Gericht in New York verurteilt Argentinien, feindlich gesinnte Hedgefonds auszubezahlen. Hat das Urteil Folgen für Europa?


SCHULDENKRISEArgentinien unter Geiern

Ein Gericht in New York verurteilt Argentinien, feindlich gesinnte Hedgefonds auszubezahlen. Hat das Urteil Folgen für Europa?
Auf Veranlassung der Investmentfirma Elliott beschlagnahmt: die argentinische Fregatte ARA Libertad im Hafen von Accra, Ghana (Archivbild)
Auf Veranlassung der Investmentfirma Elliott beschlagnahmt: die argentinische Fregatte ARA Libertad im Hafen von Accra, Ghana (Archivbild)
Das Urteil überraschte selbst die Fachleute für Staatsschulden. Ende Oktober entschied ein Gericht in New York: Argentinien, das vor zehn Jahren seine Zahlungsunfähigkeit erklärte, muss auch jene Gläubiger mit Zins- und Tilgungszahlungen bedienen, die ein späteres Umschuldungsangebot der Regierung nicht akzeptiert hatten. Der Richterspruch hat möglicherweise auch für andere überschuldete Länder Folgen.
Geklagt hatten zwei Hedgefonds: Elliott Capital und Aurelius Capital. Beide sind auf Not leidende Schuldtitel spezialisiert. Elliott Capital hat Medienberichten zufolge die argentinischen Staatsanleihen nach dem Staatsbankrott erworben, als sie kaum noch etwas wert waren. Später klagte der Fonds dann auf die volle Rückzahlung der Schuld. Im New Yorker Gerichtsverfahren ging es um rund 1,3 Milliarden Dollar.

Ein erneuter Staatsbankrott?
Argentinien weigert sich bislang, den Forderungen der Kläger nachzukommen – trotz des Urteils. "Wir zahlen kein Geld an Geierfonds", sagt der Wirtschaftsminister Hernán Lorenzino. Das werde auch so bleiben, "trotz aller erdenklichen Urteile irgend einer Gerichtsbarkeit, in diesem Fall aus New York". Die argentinische Regierung unter Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner will gegen den Richterspruch bis vor das US-Bundesverfassungsgericht ziehen. Verliert sie den Streit, könnten auf das Land weit höhere Forderungen zukommen als jene, um die es im Gerichtsverfahren ursprünglich ging.
Dabei ist nur ein kleiner Teil der argentinischen Ausstände umstritten. Als das Land um den Jahreswechsel 2001/2002 erklärte, seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen zu können, betrugen seine Schulden mehr als hundert Milliarden Dollar. Aus Sorge, ihre Investitionen komplett zu verlieren, akzeptierten in den folgenden Jahren 93 Prozent der Gläubiger das Angebot der argentinischen Regierung zum Schuldenschnitt. Dadurch verzichteten sie auf fast zwei Drittel ihrer Forderungen.
Eine kleine Gruppe aber, die sogenannten Holdouts, weigerte sich. Die beiden Hedgefonds, die in New York klagten, repräsentieren wiederum nur einen Teil der Verweigerer. Falls sie sich mit ihrer Haltung letztinstanzlich durchsetzen, könnten auch die anderen Holdouts versuchen, ihre Ausstände einzuklagen, Dann könnten weitere Gläubiger ihnen folgen. Im Extremfall könnte Argentinien durch die Folgen des Urteils zwölf Milliarden Dollar verlieren, schätzt Vladimir Werning, Lateinamerika-Experte bei J.P. Morgan.
Eine solche Summe würde die Staatskassen wohl stark belasten – so sehr, dass nach dem Urteil schon über einen möglichen erneuten Bankrott des Landes spekuliert wurde. Die Preise für argentinische Kreditausfallversicherungen stiegen rasant, während die Anleihekurse fielen und die Zinsen in die Höhe schossen. Die Rating-Agentur Standard & Poor's stufte die argentinischen Papiere zurück, die Konkurrenz von Fitch kündigte an, eine Herabstufung zu prüfen. Es nützte nichts, dass Kirchners Finanzminister Lorenzino beteuerte, das Land werde "alles Notwendige tun", um die umgeschuldeten Anleihen auch weiterhin zu bedienen.
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 Was heißt das Urteil für Europa?

Rein rechtlich könnte der Staatsbankrott allein dadurch eintreten, dass die argentinische Regierung sich weigert, dem Urteil Folge zu leisten – was wegen der bekannt tiefen Abneigung von Cristina Fernández de Kirchner gegen die "Geierfonds" gar nicht so unwahrscheinlich ist. Die Zahlungen an jene Gläubiger, die der Umschuldung vor Jahren zugestimmt haben, werden über die Bank of New York abgewickelt. Die aber untersteht der New Yorker Gerichtsbarkeit. Selbst wenn Fernández de Kirchners Regierung die Bank anweist, auch künftig nur die umgeschuldeten Anleihen zu bedienen: Möglicherweise kann das Geldhaus dem gar nicht Folge leisten und sieht sich stattdessen gezwungen, einen Teil des Geldes den Holdouts zu geben.
Manche spekulieren jetzt darüber, ob Argentinien die Richter austricksen könne. Zum Beispiel könnte es die Gläubiger, die den Schuldenschnitt akzeptierten, künftig über einen Offshore-Treuhänder bedienen und nicht mehr über die Bank of New York. Doch die Holdouts könnten folgen und anderswo klagen – es wäre "eine Reise um die Welt in argentinischen Anleiherückzahlungen“, bloggt Joseph Cotterill in FT Alphaville, dem Finanzblog der Financial Times.
Das Urteil ist aber nicht nur für Argentinien relevant. Wenn ein Land Zins- und Tilgungszahlungen leisten muss an Gläubiger, die einem Umschuldungsangebot nicht zustimmten – und zwar in voller Höhe des Anleihenennwerts –, welcher Investor wird dann künftig noch bereit sein, die mit einem Schuldenschnitt verbundenen Verluste zu akzeptieren? Der Richterspruch mache die "künftige Umstrukturierung von Staatsschulden sehr viel schwieriger", schreibt Reuters-Finanzblogger Felix Salmon. Das Ergebnis sei ein "signifikanter Anstieg der Unsicherheit, in einer Anlageklasse, die das gerade wirklich nicht gebrauchen kann."
Urteil könnte auch für andere Anleihen gelten

Allerdings streiten die Anleiherecht-Experten noch darüber, inwieweit andere Länder tatsächlich von dem New Yorker Urteil betroffen sein könnten. Die juristischen Grundlagen sind kompliziert: Die Richter stützten ihr Urteil vor allem auf die sogenannte pari-passu-Klausel in den argentinischen Anleiheprospekten. Die Klausel legt fest, dass Argentinien alle Gläubiger gleich behandeln muss. Also müsse das Land auch an alle zahlen, befand das Gericht.
ALEXANDRA ENDRES
Alexandra Endres
Alexandra Endres ist Redakteurin im Ressort Wirtschaft bei ZEIT ONLINE. Ihre Profilseite finden Sie hier.
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Neuere Anleiheprospekte hingegen enthalten häufig sogenannte Collective-Action-Klauseln (CAC). Auch griechische Anleihen sind mit solchen Klauseln versehen. CACs legen in der Regel fest, dass Entscheidungen einer Gläubiger-Mehrheit für alle bindend sind – unter einer umfassenden CAC müssten sich die Holdouts einer Umschuldung fügen, sobald eine Mehrheit der Kreditgeber dem Schuldenschnitt zugestimmt hat. Dennoch sei es für gewiefte Holdouts nicht schwer, CACs zu umgehen,schreibt die Rechtsprofessorin Anna Gelpern im Kreditblog Creditslips.
Argentinien aber wird im Dezember die nächste Rate seiner Schulden bezahlen müssen. Dann wird das New Yorker Urteil wohl noch keine konkreten Folgen für das Land haben. Die Richter verwiesen den Fall zurück an eine untere Instanz, die nun festlegen soll, wie der künftige Zahlungsmechanismus konkret aussehen soll. Trotzdem wird der Spielraum für Cristina Fernández' Regierung geringer. Im März 2013, schätzen Analysten, könnte die Gefahr eines erneuten Staatsbankrotts für Argentinien wieder konkret werden.


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