AthenDer griechische Finanzminister Giannis Stournaras demonstriert Zuversicht: Das krisengeplagte Land habe die Talsohle durchschritten, glaubt Stournaras, „die Wirtschaft bewegt sich in Richtung Erholung“. Tatsächlich ist das griechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal saisonbereinigt wieder leicht gewachsen, nämlich um 0,6 Prozent. Damit hat die Wirtschaftsleistung erstmals seit dem dritten Quartal 2008 zugelegt. Für das Gesamtjahr 2013 erwartet die Regierung zwar noch ein Minus von vier Prozent, aber 2014 soll das Land die Rezession mit einem Wachstum von 0,6 Prozent hinter sich lassen.
Über den Berg sind die Griechen allerdings noch lange nicht. In Griechenland begann die Schuldenkrise, und von allen Problemstaaten steckt das Land immer noch am tiefsten im Schlamassel – trotz der zugesagten Hilfskredite von 240 Milliarden Euro, wovon bereits 210 Milliarden nach Athen überwiesen wurden. Mitte Oktober könnten die Euro-Finanzminister eine weitere Kreditrate von einer Milliarde Euro freigeben – sofern die Troika grünes Licht für die Bewilligung der Gelder gibt.
Die Bilanz der Inspekteure der EU-Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank, die jüngst wieder einmal in Athen die Bücher prüften und die Reformfortschritte begutachteten, dürfte allerdings durchwachsen ausfallen.
Die gute Nachricht: Bei der Haushaltskonsolidierung macht Finanzminister Stournaras Fortschritte und liegt sogar vor dem Plan. In den ersten acht Monaten lag das Defizit bei 2,5 Milliarden Euro, angesetzt waren im Budget 7,8 Milliarden. Im vergleichbaren Vorjahreszeitraum hatte der Fehlbetrag sogar noch 12,5 Milliarden Euro betragen. Griechenland wird aller Voraussicht nach das ursprünglich erst für 2014 anvisierte Ziel eines Primärüberschusses (ohne Schuldendienst) bereits in diesem Jahr erreichen. In den ersten acht Monaten betrug dieser Überschuss bereits knapp 2,9 Milliarden Euro. Seit dem Beginn des Rettungsprogramms im Frühjahr 2010 hat Griechenland sein Haushaltsdefizit um elf Prozentpunkte des BIPs zurückgefahren. Kein anderes EU-Land hat eine ähnliche Konsolidierungsleistung vorzuweisen. Dass sie vor dem Hintergrund einer schweren Rezession erreicht wurde, die im gleichen Zeitraum die Wirtschaftsleistung um 22 Prozent schrumpfen ließ, ist umso beeindruckender.
Die Rezession hatte allerdings auch einen heilsamen Effekt: Weil die Griechen sich weniger Importwaren leisten konnten und griechische Unternehmen sich wegen der rückläufigen Nachfrage auf dem heimischen Markt stärker auf Exporte konzentrierten, ist das Defizit in der griechischen Leistungsbilanz fast verschwunden. Dazu trägt auch der Tourismusboom bei: Erstmals erwartet Griechenland in diesem Jahr mehr als 17 Millionen ausländische Besucher.
Die OECD bescheinigt Griechenland einen weiteren Rekord: Laut einer Statistik der Organisation ist das Land seit 2011 unter allen Staaten der westlichen Welt Spitzenreiter im Umsetzen von Wirtschaftsreformen. Den Spitzenplatz verdankt Griechenland allerdings nicht zuletzt dem Umstand, dass der Reformrückstand hier besonders krass ist. Das Land verwirklicht jetzt Veränderungen, die andere Länder bereits vor Jahrzehnten umgesetzt haben. So wurde das Renteneintrittsalter angehoben. Die Renten wurden um rund ein Fünftel gekürzt, die Rentenkassen zwangsvereinigt.
Der Mindestlohn wurde von 751 auf 586 Euro gesenkt, zahlreiche Lohnzuschüsse abgeschafft. Tarifverhandlungen werden nicht mehr für ganze Branchen, sondern auf Betriebsebene geführt. Das hatte heilsame Folgen für die Lohnstückkosten, die in Griechenland zwischen 2001 und 2009 fast doppelt so stark angestiegen waren wie im EU-Durchschnitt. In den vergangenen drei Jahren gingen sie kumulativ um 18 Prozent zurück. Im jüngsten Wettbewerbsfähigkeits-Ranking des Weltwirtschaftsforums hat sich Griechenland zwar von Rang 96 auf 91 vorarbeiten können. Damit bleibt das Land aber immer noch Schlusslicht in der EU und liegt hinter Ländern wie Namibia und Kambodscha.
Viele Reformaufgaben sind noch unerledigt. Seit Jahren diskutiert, aber noch immer nicht vollständig umgesetzt ist die Öffnung der sogenannten geschlossenen Berufe. Das sind hunderte Tätigkeiten, die jahrzehntelang weitgehend von jedem Wettbewerb abgeschottet waren. Zünfte und Berufsverbände sträuben sich gegen die Öffnung, in vielen Bereichen steht die Deregulierung bisher nur auf dem Papier. Noch umstrittener ist der Stellenabbau im öffentlichen Dienst. Bis Ende 2014 sollen rund 40.000 Staatsdiener gehen, was aber angesichts der hohen Arbeitslosenquote von 28 Prozent nicht nur bei den Gewerkschaften und der Opposition, sondern auch in Kreisen der Regierungsparteien auf Widerstände stößt.
Den größten Rückstand gibt es bei den Privatisierungen. Das 2010 genannte Ziel, wonach Griechenland bis 2015 mit dem Verkauf von Staatsunternehmen und öffentlichen Liegenschaften 50 Milliarden Euro einnehmen will, hat sich längst als illusionär erwiesen. Mehrfach wurden die Privatisierungsziele bereits zurückgeschraubt. Jetzt ist nur noch von 7,2 Milliarden Euro bis 2015 die Rede. Davon sollten 1,7 Milliarden in diesem Jahr erzielt werden. Tatsächlich dürften aber bis zum Jahresende höchstens 1,3 Milliarden Euro in die Kasse kommen.
Unzufrieden ist die Troika auch mit der Reform der Finanzverwaltung. Finanzminister Stournaras hat zwar die früher 290 Finanzämter in diesem Jahr zu 120 Einheiten zusammengefasst, wovon sich die Troika mehr Effizienz verspricht. Die Erfolge bei der Jagd nach Steuersündern sind bisher aber bescheiden. „Die Steuerhinterziehung war und ist das größte Problem des Landes“, räumte der Finanzminister jetzt ein.
Vor allem wegen der spärlichen Steuereinnahmen wird Griechenland höchstwahrscheinlich mit den bisher zugesagten Hilfskrediten nicht über die Runden kommen. Der Internationale Währungsfonds beziffert den zusätzlichen Finanzbedarf für die Jahre 2014 und 2015 auf rund elf Milliarden Euro. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble geht von einer ähnlichen Größenordnung aus. Die griechische Regierung versichert unterdessen, man komme ohne neue Kredite aus. Stattdessen hofft Athen auf günstigere Konditionen – niedrigere Zinsen und längere Laufzeiten – für die bereits bewilligten Gelder. Premier Antonis Samaras weiß nämlich: Neue Kredite wären wohl mit weiteren Sparauflagen verbunden. Und die sind politisch in Griechenland für keine Regierung durchsetzbar.
Lesen Sie am Mittwoch in Teil zwei unserer Serie wie es um das Krisenland Spanien bestellt ist.
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