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Samstag, 19. Oktober 2013

Der erste Takt von Kirchners letztem Tango

Kongresswahlen in Argentinien

Der erste Takt von Kirchners letztem Tango

Auslandnachrichten 
Argentiniens Präsidentin hat den Zenit ihrer Macht überschritten.
Argentiniens Präsidentin hat den Zenit ihrer Macht überschritten. (Bild: Reuters)
Ende Monat wählen die Argentinier einen Teil des Parlaments. Es dürfte zur Abrechnung mit der Regierung Kirchner kommen, welche die Sympathie vieler ihrer Wähler verspielt hat.
Tjerk Brühwiller, São Paulo
Cristina Fernández de Kirchner geht es gut. Die argentinische Präsidentin hat soeben eine Operation überstanden, bei der ihr ein Bluterguss unter dem Schädel entfernt wurde. Laut den Ärzten verlief der Eingriff ohne Komplikationen. Kirchner brauche nun jedoch Ruhe, um sich erholen zu können, sagten sie. Dass die kommenden Tage der Präsidentin die benötigte Stressfreiheit bringen, ist jedoch ernsthaft zu bezweifeln. Ende Monat sind Parlamentswahlen in Argentinien. Sie dürften für Kirchner und ihr Lager weitaus komplizierter werden als der Routineeingriff unter der Schädeldecke der Präsidentin. Und sie dürften auch weniger glimpflich ausgehen.

Hochburgen wanken

Wiederholt sich am 27. Oktober das Resultat der Vorwahlen vom 11. August, dann droht der Regierungskoalition Frente para la Victoria (FPV) das schlechteste Ergebnis seit Jahren. Nur noch gut ein Viertel der Wähler stand bei der Hauptprobe an der Urne hinter dem FPV, vor zwei Jahren war es noch mehr als die Hälfte. Kirchners Kandidaten schnitten in mehreren Hochburgen schlechter ab als Kandidaten der Oppositionsparteien. Zum Debakel dürfte die Wahl nur nicht werden, weil lediglich ein Teil der beiden Kammern erneuert wird und der FPV einen relativ geringen Teil der vakanten Sitze zu verteidigen hat. Doch egal, wie die Wahl am 27. Oktober ausgeht, den Traum einer Zweidrittelmehrheit, um Kirchner mit einer Verfassungsänderung 2015 eine dritte Amtszeit zu ermöglichen, haben die «Kirchneristas» längst aufgegeben.
Kopfzerbrechen dürfte dem FPV die Situation in der mit Abstand wichtigsten Provinz Buenos Aires bereiten, wo 38 Prozent der Wähler wohnen. Hier gilt nicht Kirchners Kandidat Martín Insaurralde als Favorit, sondern mit dem 41-jährigen Sergio Massa ausgerechnet ein Abtrünniger. Massa war unter Cristina Kirchner einst Kabinettschef. Nun hat er sich mit seinem neu gegründeten Frente Renovador (FR) zur grössten Konkurrenz entwickelt. Obwohl Massa ebenfalls Peronist ist und eher für Kontinuität als Wandel steht, scheinen ihm die Wähler einiges zuzutrauen. Hinzu kommt, dass Massa – im Gegensatz zu zahlreichen Mitgliedern des Regierungslagers – nicht dem Verdacht der Korruption ausgesetzt ist. Sollte Massa sein Resultat aus den Vorwahlen von 35 Prozent der Stimmen bestätigen, gilt er automatisch als oberster Anwärter auf die Nachfolge von Cristina Kirchner 2015.

Ausgeleierte Wirtschaftspolitik

Es gibt keinen Grund, warum die Wähler Ende Monat anders abstimmen sollten als bei den Vorwahlen. Die Ursachen, die der Abwendung der Wähler von Kirchners Lager zugrunde liegen, bestehen weiterhin. Dazu zählt vor allem die Wirtschaftspolitik, die bei immer breiteren Bevölkerungsschichten auf Kritik stösst. Seit Jahren schönt die Regierung die Inflationsrate. Offiziell betrug diese im letzten Jahr 11 Prozent, in Tat und Wahrheit dürfte sie jedoch bei bis zu 25 Prozent gelegen haben. Statt der Ursachen der Teuerung Herr zu werden, friert die Regierung mit wenig Erfolg Preise ein. Oder sie unterbindet den Kauf von Dollars, der Währung, in die viele Argentinier flüchten, weil der Peso ständig an Kaufkraft verliert. Die Regierung verfolgt weiterhin eine expansive Geld- und Fiskalpolitik. Derweil geht das Wachstum zurück, und die Devisenreserven sinken. Die Massenproteste im vergangenen November und April – die grössten seit der Wirtschaftskrise 2001 – waren ein Zeichen, dass etwas nicht stimmt in Argentinien. Die Regierung hat es nicht verstanden. Sie verfolgt weiterhin eine expansive Geld- und Fiskalpolitik, eine von populistischen Subventionen und staatlichen Transferleistungen getriebene wirtschaftliche Strategie.
Der Regierung Kirchner droht weiteres Ungemach: Alles deutet darauf hin, dass Argentinien in einem seit Jahren andauernden Rechtsstreit mit Hedge-Funds unterliegt und dazu verdonnert wird, Zinsen und Tilgungen in der Höhe von 1,3 Milliarden Dollar zu zahlen, die auf den Staatsbankrott von 2001 zurückgehen. Zahlungen an andere Gläubiger müssten dann so lange sistiert werden, bis die Kläger ihr Geld erhalten haben. Argentinien droht dadurch eine technische Staatspleite. Die Rating-Agentur Standard & Poor's hat aus diesem Grund die Kreditwürdigkeit im September auf CCC+ abgestuft, womit Argentinien sich unter die schlechtesten Schuldner der Welt einreiht. Für die Wirtschaft ist dies keine Hilfe.

Hitziger Wahlkampf

Wie bereits in früheren Wahlkämpfen spielt das Thema Sicherheit auch diesmal eine wichtige Rolle. Es wurde nun auch von Sergio Massa aufgegriffen. Dazu beigetragen hat auch eine im Juli publizierte Studie, die einen Anstieg der Delikte zwischen 2010 und 2012 sowie eine steigende Angst vor Kriminalität in allen sozialen Schichten feststellte. Verschiedene Exponenten des FPV sprangen sofort auf den Zug auf und versprachen, mit harter Hand gegen die Kriminalität im Lande vorzugehen. Gewisse Vorschläge – zum Beispiel die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters von 16 auf 14 Jahre – spalten das Kirchner-Lager ebenso wie die Ernennung des neuen Sicherheitsdirektors der Provinz Buenos Aires, der als eine äusserst umstrittene Person gilt und ankündigte, die Strassen der Provinz mit jenen Polizisten zu füllen, die derzeit nur Papierkram verrichteten.
Die interne Kritik deutet auf eine gewisse Nervosität im Hinblick auf eine drohende Niederlage hin. Ein weiteres Indiz dafür ist auch die Aggressivität des Wahlkampfes. Zu reden gab vor allem ein Vorfall in der Stadt La Matanza, einer Kirchner-Hochburg. Dort wurde der Widersacher Sergio Massa zuerst mit Eiern beworfen, danach wurden Massa und seine Begleiter von einer Gruppe Maskierter angegriffen, wobei Massa von einem Steinschleuder-Geschoss getroffen und drei seiner Kollegen ernsthaft verletzt wurden.
Die Operation der Präsidentin hat unverhofft etwas Ruhe in den Wahlkampf gebracht. Die Abwesenheit Kirchners – sie selbst kommt in Umfragen weniger schlecht weg als die Arbeit ihrer Regierung – dürfte ihren Kandidaten jedoch nicht helfen. Hinzu kommt, dass mit Kirchners Vizepräsidenten Amado Boudou nun eines der unbeliebtesten Regierungsmitglieder im Rampenlicht steht und Kirchner an Anlässen vertreten muss, die auch Teil der Kampagne sind. Gegen Boudou sind verschiedene Verfahren hängig. Er wird der illegalen Bereicherung und des Amtsmissbrauchs verdächtigt. Er bietet damit eine ideale Zielscheibe für die Opposition. Es ist vor diesem Hintergrund nicht auszuschliessen, dass sich Cristina Fernández de Kirchner schneller erholt, als den Ärzten lieb ist.

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