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Sonntag, 15. Juli 2012

Argentinien: Misswirtschaft aus dem Lehrbuch

Argentinien: Misswirtschaft aus dem Lehrbuch

14.07.2012 | 18:07 | von Andreas Fink (Die Presse)
Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner führt einen Feldzug gegen den Dollar. Da die Inflation wieder rasant steigt, kommt das Sparen in der Landeswährung Peso einem Geldverbrennen gleich.
Es war eine ihrer typischen Volksreden, die mehrmals wöchentlich von allen frei empfangbaren TV-Kanälen Argentiniens live ausgestrahlt werden müssen. Doch dieses Mal hatte Cristina Fernández de Kirchner ihren Bürgern etwas Privates zu vermelden: Sie werde ab sofort ihre Konten nur noch in Pesos führen. Laut der letzten Vermögenserklärung lagen auf ihren Festgeldkonten mehr als drei Millionen Dollar. Und sie forderte ihre – wie stets bei ihren Auftritten – zahlreich angetretenen Kabinettsmitglieder auf, ihrem guten Beispiel zu folgen. Die Minister nickten dienstfertig, obwohl sie alle wussten, dass sie damit eines der schlechtesten Geschäfte ihres Lebens machen werden

Denn sparen in Pesos ist nur wenig ruinöser als Geld zu verbrennen. Zwischen zehn und elf Prozent Jahreszins versprechen argentinische Banken für Anlagen auf einem Sparkonto. Europäische Bankkunden können von solchen Angeboten nur träumen. Aber in Europa liegt die Inflation nicht bei 25 Prozent. Seit 2007 sind die Preise akkumuliert um 189 Prozent gestiegen, eine Folge der Politik des Herrscherpaars Néstor und Cristina Kirchner, die mit großzügigen Subventionen eine veritable Konsumfiesta anfachten. Beglückt von Kindergeld, Arbeitsprogrammen, Wohnbauprojekten und großzügigen Energiesubventionen stimmten im Oktober 54,4 Prozent für Cristina Kirchners Wiederwahl.
Und sie präsentierte ziemlich prompt die Rechnung. Kirchner kündigte eine „Feinabstimmung“ ihres Wirtschaftsmodells an, und schon eine Woche nach dem Wahltag begannen die Währungskontrollen. Seit November entscheidet die Steuerbehörde Afip, wer Zugang zu Devisen bekommt. Anfangs waren es noch die Bankangestellten, die beim Amt die Autorisierung einholten, doch inzwischen muss jeder, der Dollar tauschen möchte, selbst auf der Website der Finanzbehörde einen komplizierten Antrag stellen. Und dem wird seit dieser Woche nur noch stattgegeben, wenn der Antragsteller eine Auslandsreise geplant hat. Gespart werden soll nur noch in Pesos.

Aufstand mit Kochtöpfen. Die Argentinier sind davon ungefähr so begeistert wie die Minister in Kirchners Live-TV-Show. Und einige wehren sich offen: Schon dreimal gingen Bürger der betuchteren Hauptstadtviertel mit Kochtöpfen bewaffnet auf die Straßen und machten Krach. „Mit meinem Geld mach ich, was ich will“, stand auf einem der Demonstrations-Plakate, ein anderes sagte schlicht: „Ich möchte sparen.“
In Argentinien bedeutet das: „Ich möchte in Dollar sparen.“ Denn jenes Volk, das 1975, 1982, 1989 und 2001 Währungsabstürze, Hyperinflationen und teilweise totale Einlagenverluste durchstehen musste, hat ein fast schon hysterisches Verhältnis zur US-Devise entwickelt. Reiche, Wohlhabende, aber auch kleine Sparer sind es seit Jahrzehnten gewohnt, das, was am Monatsende übrig bleibt, in Dollar umzutauschen. Etwa 1300 Dollar in bar hortet jeder der 40 Millionen Argentinier im Schnitt, das ist einsamer Weltrekord.
Unternehmer und Großagrarier verschifften ihre Devisen „off shore“, die Mittelklasse belegte die Bankschließfächer – seit Ende des Vorjahres sind alle Schließfächer in der gesamten Republik vermietet – und die kleinen Leute bunkern die Dollar irgendwo daheim, in der Gardinenstange, unter der Küchenarbeitsplatte oder im Blumentopf auf dem Balkon. Nur auf Konten wollen die leidgeprüften Sparer ihre Habe keinesfalls liegen lassen. Zu oft hatten sie zuvor schon erleben müssen, dass Dollar- über Nacht zu Pesoguthaben wurden. Etwa 70 Milliarden Dollar sind in den vergangenen sechs Jahren aus dem Wirtschaftskreislauf des Landes abgeflossen, allein im Vorjahr verschwanden 21,5 Milliarden.
Das war noch zu ertragen, solange Soja-Rekordernten und der erwachte Riese Brasilien die Außenhandelsbilanz in den schwarzen Zahlen hielten. Doch dieser Überschuss ist nun gefährdet, nachdem das Land im Vorjahr seine Energieautonomie verloren hat. Weil die Regierung lächerlich niedrige Höchstpreise für Gas und Petroleum festgelegt hatte, lohnten sich Investitionen in dem Sektor kaum. Nun muss das Land teuer Brennstoffe importieren, etwa 13 Milliarden Dollar muss Frau Kirchner dafür einplanen.

Handelsüberschuss ist Pflicht. Gleichzeitig werden dieses Jahr zwei Tranchen des Altschuldendienstes fällig, die auch mit knapp fünf Milliarden Dollar zu Buche schlagen werden. Weil dann auch noch die Sojaernte 20 Prozent geringer ausfiel als eingeplant und Brasilien abzuwerten begann, schrillten in Buenos Aires die Alarmglocken. Da Argentinien nach dem Staatsbankrott von den internationalen Kreditmärkten abgeschlossen ist, darf es auf keinen Fall riskieren, den Außenhandelsüberschuss zu verlieren. Der lag im Vorjahr bei – von kritischen Ökonomen angezweifelten – zehn Milliarden Dollar.
Deswegen ließ Frau Kirchner alles in Bewegung setzen, um das Land „dollar-dicht“ zu machen. Firmen, die Waren importieren, müssen nun Produkte im gleichen Wert ausführen, so wurde etwa BMW zum Händler von Reis und Leder. Um Produkte importieren zu können, müssen Anträge bei der Steuerbehörde und im Büro des allmächtigen Handelststaatsekretärs Guillermo Moreno gestellt werden. Bis zu 30 Prozent dieser Anträge wird nicht entsprochen. Das führt dazu, dass die nationale Industrie, zu deren Schutz die Importschranken angeblich errichtet wurden, oft stockt, weil importierte Bestandteile fehlen. Und nun fehlen auch noch die Dollar, um Importe und Ersatzteile zu bezahlen.

Galoppierende Inflation. Weil Immobilien bislang ausschließlich in Dollar gehandelt wurden, meldete der Sektor zuletzt Einbrüche von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Bauindustrie, lange Motor des Wachstums, lahmt. Und viele Fabrikanten kalkulieren ihre Preise inzwischen auf Basis des „dolar paralelo“, dessen Wert inzwischen etwa 30 Prozent über dem offiziellen liegt. Das ließ zuletzt die Preise für viele Produkte, auch jene des täglichen Bedarfs, regelrecht explodieren.
Die NGO „Barrios de Pie“, die Sozialarbeit in den Armenvierteln der Großstädte betreibt, meldete, dass etwa ein Stück Seife Ende Juni um 60 Prozent mehr kostete als zu Monatsanfang. Just die Armen, die Cristina Kirchner zu ihrer Wahlmehrheit verholfen haben, sind es, die jetzt am meisten unter der Geldentwertung zu leiden haben.

Dollar am Schwarzmarkt. Die Zentralbankchefin Mercedes Marcó del Pont hat unlängst versichert, dass sie den Dollar-Sparern nicht den Gefallen tun werde, den Peso abzuwerten. Obwohl die nach dem Zusammenbruch 2001 sehr kompetitive Währung nach Jahren der Inflation extrem überbewertet ist, seien „die Voraussetzungen für eine Abwertung nicht gegeben“. Tatsächlich hat die Abwertung längst stattgefunden. Denn der einzige Dollar, den die Argentinier kaufen können, ist der vom Schwarzmarkt. Und der kostet nicht 4,54 Pesos, sondern sechs.
Präsidentin Cristina Kirchner hat übrigens zwei Tage nach ihrer Ankündigung ihr Dollar-Konto geräumt. Die Einlagen wurden auf ein nicht genanntes Konto überwiesen. In welcher Währung, wurde nicht bekannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2012)

http://diepresse.com/home/wirtschaft/international/1265099/Argentinien_Misswirtschaft-aus-dem-Lehrbuch

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