Argentinien in der Zwickmühle
Eine klagende Investorengruppe verlangt Einstellung der Schuldentilgung
Der oberste US-Gerichtshof will prüfen, ob Argentinien die Zahlungen an ausländische Gläubiger sistieren muss, bis die Ansprüche einer klagenden Investorengruppe beglichen sind. Dem Land droht damit ein «technischer» Zahlungsausfall.
Alexander Busch, São Paulo
Vor zwölf Jahren war es zum grossen Zahlungsausfall des argentinischen Staates gekommen mit Gläubigerforderungen in Höhe von rund 100 Mrd. $. Nun sieht es so aus, als müsste das südamerikanische Land alle Zahlungen auf diese Auslandschulden einstellen. Obwohl die argentinische Regierung gehofft hatte, dass sich die nordamerikanische Justiz mit ihrer Prüfung mehr Zeit nehmen würde, will der oberste Gerichtshof in den USA bereits Ende September analysieren, ob er die Revision von zwei richterlichen Entscheidungen eines New Yorker Appellationsgerichts akzeptieren wird oder nicht.
«Technischer» Default droht
Sollte der Gerichtshof in den nächsten Monaten die Überprüfung ablehnen, wäre das eine schlechte Nachricht für Argentinien, denn dann träte automatisch das Urteil in erster Instanz des New Yorker Gerichts vom November 2012 in Kraft, welches in der zweiten Instanz dieses Jahres einstimmig bestätigt wurde. Gemäss diesem Urteilsspruch muss Argentinien einer Gläubigergruppe, die sich an den zwei Umschuldungen von 2005 und 2010 nicht beteiligt hat, sofort Zinsen und Tilgungen in Höhe von 1,3 Mrd. $ zahlen. Alle Zahlungen an andere Gläubiger müssen dann sistiert werden, bis die klagende Gläubigergruppe ihr Geld erhalten hat.
In diesem Fall beginge Argentinien einen «technischen Default». Das würde bedeuten, dass Argentinien zwar in der Lage wäre, seine Schulden zu bezahlen, aus gesetzlichen Gründen daran aber gehindert wird. Die Rating-Agentur Standard & Poor's hat vergangene Woche bestätigt, dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen «selektiven» Defaults etwa einen Drittel betrage. Zuvor hatte sie wegen des laufenden Gerichtsverfahrens in den USA die Kreditwürdigkeit Argentiniens von B- auf CCC+ herabgestuft.
Doch auch für den von der argentinischen Regierung erhofften Fall, dass der oberste Gerichtshof der USA eine Revision akzeptieren würde, käme das Urteil Argentinien teuer zu stehen: Das Land müsste dann eine Kaution hinterlegen, die garantieren würde, dass im Fall eines entsprechenden Urteils das Land in der Lage wäre, die fälligen Schulden zu bezahlen. Doch mit den sinkenden Devisenreserven Argentiniens - von 43 Mrd. $ sind seit Jahresbeginn bereits etwa 10 Mrd. $ abgeflossen - dürfte dies immer schwerer fallen.
«Pari-passu» bestätigt
Argentinien kann sich die Zahlung an die klagende Investorengruppe auch aus einem anderen Grund nicht leisten: Tut sich diese Schleuse auf, würde das Land mit Schadenersatzforderungen aller anderen Gläubiger überrollt, die in den vergangenen Jahren Forderungsverzichte von bis zu 70% akzeptiert haben. Durch die New Yorker Schuldenverhandlungen ist die Stellung der Gläubiger bereits jetzt deutlich gestärkt worden. Sie können sich realistische Hoffnungen machen, dass ihre Forderungen doch noch erfüllt werden, auch wenn sie sich als Minderheit einer Umschuldung widersetzt haben. Dies betrifft nicht die vielen argentinischen Anleger, von denen sich 93% an beiden Umschuldungsrunden beteiligt haben.
Die restlichen Gläubiger bestehen vor allem aus speziellen Hedge-Funds. Sie kauften argentinische Bonds mit Abschlägen von bis zu 90% und kämpfen seit 2006 vor Gericht, um Rückzahlungen im Nominalwert plus aufgelaufener Zinsen zu erhalten.
Das New Yorker Gericht bestätigte die «Pari-passu»-Klausel umfassender als die Gerichte zuvor: Nach dieser Gleichbehandlungsklausel dürfen nach seinem Urteil bei Umschuldungen Gläubigergruppen grundsätzlich nicht unterschiedlich entschädigt werden. Es dürfen auch keine Dritten - also etwa Banken - dabei helfen, dass Gläubiger ihre Rückzahlungen erhalten, wenn nicht auch die Umschuldungsverweigerer berücksichtigt wurden. Sollte das Urteil bestätigt werden, drohen Banken künftig also Klagen, wenn sie dennoch argentinische Rückzahlungen abwickeln.
Hüst und Hott Kirchners
Argentinien dagegen beruft sich darauf, dass bei einer genügend grossen Akzeptanz eines Umschuldungsangebots unter den Gläubigern auch die Verweigerer die Bedingungen akzeptieren müssten. Das US-Gericht stufte Argentinien deshalb jetzt als «zahlungsunwilligen Schuldner» ein, der zahlen könnte, aber nicht will. Um sich als «williger Schuldner» darzustellen, will die Regierung von Präsidentin Kirchner jetzt mit einer Gesetzesinitiative die Voraussetzung für eine dritte Umschuldungsrunde zu den gleichen Bedingungen wie in den beiden Vorrunden schaffen. Diese hat sie selbst 2010 per Gesetz ausgeschlossen, will das jetzt aber durch den Kongress nachträglich wieder ändern lassen.
Gleichzeitig hat die Regierung einen Gesetzesvorschlag zurückgezogen, mit dem sie allen Anleihenbesitzern einen Bondtausch vorschlagen wollte: Danach könnten diese ihre Staatstitel nach US-Recht gegen lokale Bonds nach argentinischem Recht umtauschen und wären dann auch bei einem für Argentinien ungünstigen Urteil von der US-Rechtsprechung ausgenommen. Damit würden diese Bondhalter auch weiterhin ihre Zahlungen erhalten, auch wenn das US-Gericht diese untersagen würde.
Präsidentin Kirchner hatte diesen Bondtausch in einer landesweiten Ansprache angekündigt, doch diesen Vorschlag dann im letzten Moment wieder zurückgezogen. Die Regierung fürchtet, mit dieser Aktion bei den US-Gerichten alle verbleibenden Sympathien zu verlieren und endgültig als zahlungsunwillig dazustehen.
«Reflexe», Seite 2
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